Das Weihnachtswunder

von Silvia Kuschela

20 Tage war es her.
Noch immer keine Spur von unserem Kater. Es tat weh. Sehr weh. Wir vermissten ihn jeden Tag.

Lucky ist ein sehr besonderer Kater. Er hat ein wunderschönes schwarz/weißes Fell, das er andauernd mit viel Hingabe putzt.
Er ist sehr scheu. Beim kleinsten Laut erschreckt er und versteckt sich. Wenn wir Besuch haben, hält er einen großen Sicherheitsabstand und lässt sich von niemanden streicheln.

Aber uns gegenüber ist er anders. Er liebt uns einfach.

Mit uns kuschelt er. Aber er bestimmt wann und wie lange. Leider ist es nie sehr lange.
Lucky ist sehr verspielt. Er liebt es mit uns Ball zu spielen. Wir werfen den Ball irgendwohin und er bringt ihn uns wieder zurück. Auch Verstecken kann man großartig mit ihm spielen. Er versteckt sich, wir suchen ihn und wenn wir ihn gefunden haben, springt er voller Freude in die Höhe.
Und seine Augen. Wir schmelzen immer dahin, wenn er uns mit seinem süßen, durchdringenden Katzenblick anstarrt. 

Jetzt war er weg. Wir haben ihn seit 20 Tagen nicht mehr gesehen. Und zwar seit dem Tag als es bei uns im Keller gebrannt hatte. Unserem Kater war durch das Feuer nichts passiert. Er hat danach noch zwei Tage lang, seine Futterschüssel leer gegessen. Seither kam er nicht wieder.
Niemand hat ihn gesehen.

Ich verstand es ja fast. Es standen Trocknungsgeräte in unserem Keller.
Die liefen Tag und Nacht und waren sehr laut.
Außerdem waren jeden Tag Arbeiter bei uns, die unser Haus wieder in Ordnung brachten.
Auch sie waren sehr laut. Sie bohrten, schliffen und spielten laute Musik.
Wäre ich eine Katze, ich würde auch nicht wieder kommen.

Jeden Tag stellten wir Futter vor die Türe. Jeden Morgen war das Futter noch da.
Und das ging jetzt schon seit 20 Tagen so. Wir waren fest davon überzeugt, dass Lucky irgendwo da draußen war und sich nicht in unser Haus traute, weil er Angst hatte.

Es war an einem Dienstag. Ich war im Schlafzimmer, als ich ganz laut von unten meinen Sohn schreien hörte: „Mama, Mama die Futterschüssel ist leer. Das war bestimmt Lucky.“

Ganz schnell rannte ich nach unten. Gemeinsam suchten wir alles ab.
Wir suchten drinnen. Wir suchten draußen. Aber Lucky war nirgends zu finden.
„Man darf die Hoffnung niemals aufgeben. Lucky wird sicher bald nach Hause kommen“, sagte ich zu meinem Sohn und füllte neues Futter in die Schüssel.
In meinem Inneren tauchten aber langsam die ersten Zweifel auf.

Am Nachmittag als ich nach Hause kam, hörte ich bei der Futterschüssel etwas rascheln.
Mein Herz schlug schneller. Ich war ganz aufgeregt.
Ganz vorsichtig und leise näherte ich mich der Futterschüssel.
Ich war mir sicher, dass es Lucky ist. Schritt für Schritt ging ich auf das Geräusch zu.
Langsam öffnete ich meinen Mund und rief ganz leise „Lucky“.
Aus meinem Augenwinkel sah ich es dann.
Es war kaum zu glauben. Das konnte doch nicht sein.
Was ich da sah war nicht Lucky. Es war eine Maus.
Sie hatte das Futter im Mund und rannte blitzschnell zurück in ihr Nest.
Eine Träne rollte über meine Wange.
Das war der Augenblick, an dem ich zum ersten Mal glaubte, dass Lucky nicht mehr lebt.

Lange konnte ich an diesem Tag nicht einschlafen. Ich grübelte und überlegte was man tun kann.
Wir hatten Flugzetteln mit seinem Bild verteilt.
Wir hatten alle Nachbarn gefragt, ob sie Lucky gesehen haben.
Wir sind seinen Namen rufend, mit der raschelnden Futterschüssel durch die Gegend gelaufen.
Mir fiel nichts mehr ein was noch helfen könnte.
Ich wusste da hilft nur noch ein Wunder.

Ein paar Tage später weckte mich mein Sohn ganz früh am Morgen.
Er rief: „Ich weiß was wir machen können.
Wir schreiben einen Wunschzettel an das Christkind.
Es ist bald Weihnachten und das Christkind hilft ganz bestimmt.“
Er schaute mich an. Seine Augen waren so voller Hoffnung und voll von dem tiefen Glauben, den nur Kinder haben können. Er war sich absolut sicher, dass das Christkind Lucky zurückbringt.

Es brach mir das Herz. Nur mühsam konnte ich meine Tränen zurückhalten.
Es waren mittlerweile mehr als 35 Tage vergangen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass Lucky noch lebt.
Wie sollte ich meinem Kind erklären, dass unser Kater wahrscheinlich nie mehr zu uns zurückkommt. Das kein Wunschzettel helfen kann und wir nichts dagegen tun können.

Ich musste es ihm sagen. Ich schaute in seine Augen. In ihnen sah ich wieder diese unglaubliche Zuversicht und ich brachte es einfach nicht über mein Herz, diese Hoffnung zu zerstören.
So sagte ich: „Gute Idee, lass uns gleich beginnen.“

Tobi holte Zettel und Bleistift und begann zu schreiben:
„Liebes Christkind
ich habe dieses Jahr zu Weihnachten nur einen einzigen Wunsch.
Ich bin sicher, nur du kannst ihn erfüllen.
Bitte lass, dass Lucky wieder zu uns zurückkommt.“
Dazu zeichnete er eine Katze und daneben einen Weihnachtsbaum.
Darüber schrieb er in Großbuchstaben: GANZ DRINGEND.
Den Wunschzettel legten wir wie jedes Jahr auf das Fensterbrett. Wie jedes Jahr, war er am nächsten Tag nicht mehr da. Stattdessen, lag dort ein Stück Schokolade.

Am 24. Dezember fing es am Abend an leicht zu schneien. Es war ein Weihnachtsabend wie im Bilderbuch. Wir hatten einen wunderschönen Weihnachtsbaum mit funkelnden Weihnachtsschmuck.
Die ganze Familie war da und wir sangen Lieder unter dem Weihnachtsbaum.
Aber es fühlte sich für mich nicht richtig an. Lucky fehlte.

Die liebevoll eingepackten Geschenke lagen unter dem Baum. Bereit ausgepackt zu werden.
Ich wusste, dass Lucky in keinem dieser Packerln war. Und ich wusste, dass Tobi ganz furchtbar enttäuscht sein würde.

Wir verteilten die Geschenke und packten sie aus.
Bei jedem Geschenk, das ausgepackt wurde, sah ich die Erwartung meines Sohnes, dass Lucky darin sein würde und die leichte Enttäuschung, als er sah, dass es nicht so war.
Dann waren alle Packerln ausgepackt. Ich fühlte mich elend.

Tobi schaute mich an. Da war sie wieder. Diese unerschütterliche Hoffnung, die aus seinen Augen strahlte.
Er glaubte noch immer ganz fest daran.

Plötzlich veränderte sich sein Blick. Seine Augen wurden starr.
Er sprang auf und lief auf mich zu.
Nein. Er lief an mir vorbei, direkt zur Terassentür.

Ich traute meinen Augen nicht. Es war ein Wunder.
Vor der Türe saß Lucky. Er miaute und war um die Hälfte abgemagert.
Er hatte wohl die ganze Zeit im Freien gelebt und sich von Mäusen ernährt.
Mit Futter lockten wir ihn herein. Lucky schmiegte sich ganz eng an uns, als ob er uns nie wieder loslassen wollte.
Er wirkte so erleichtert, dass er endlich wieder bei uns sein konnte.
Alle saßen um ihn herum und freuten sich. Es war eine Stimmung, die man kaum beschreiben kann.
Ich schaute auf die glücklichen Gesichter meiner Familie. Wir alle hatten Tränen in den Augen und konnten es kaum glauben. Selten zuvor habe ich so starke Erleichterung, Dankbarkeit und Liebe gefühlt.

Ganz behutsam streichelte mein Sohn Lucky, der sich ganz eng an ihn kuschelte.
Er hob seinen Kopf und sagte: „Siehst du Mama, das Christkind erfüllt alle Wünsche.“

Wir Codeknacker wünschen euch allen frohe Weihnachten und viele schöne gemeinsame Erinnerungen. 

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